"Interview mit dem Meditationscoach Ahlaad Piwnik", Der Ziner, Studentenzeitschrift der Uni Zürich, Medizinische Fakultät, Ausgabe 23 vom 03.10.24

Ahlaad Piwnik hat über 30 Jahre Erfahrung mit der Meditation. Für die Erlernung dieser Praxis hat er verschiedenste buddhistische und hinduistische Klöster in Asien besucht und sich von unterschiedlichsten Lehrern inspirieren lassen. Im 2006 hat er seine Passion zum Beruf gemacht. Seither leitet er mit seiner Partnerin das Meditations- und Yogastudio „Raum für Bewusstsein“ direkt an der Limmat in Zürich.

Ahlaad, wie bist du mit Meditation in Kontakt getreten? Was hat sie für einen Eindruck hinterlassen?

Vor vierzig Jahren hat mich eine GEO-Reportage zur Bereisung von Burma inspiriert. So fand ich mich allein in einer burmesischen Stadt wieder, in der es keine Elektrizität, keine Autos und keine Touristen, aber dafür wundervolle buddhistische Tempel gab. Durch einen Zufall habe ich einen Abt auf der Strasse kennengelernt, der mich in sein Kloster mitgenommen hat und mir einen Einblick in das Klosterleben und in die Meditation gewährt hat. Täglich kamen Menschen, die ehrfürchtig seine Füsse berührten und ihn um Rat und Hilfe baten. Auch wenn ich nicht verstand, worüber sie sprachen, war ich mächtig beeindruckt von der Ausstrahlung des Mönchs und wie er mit seiner ruhigen und überlegten Art den Menschen zu helfen schien. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass man mit der Meditation eine friedliche und wohlwollende Haltung kultivieren kann, welche einen unschätzbaren Wert für sich selbst und seine Mitmenschen bietet.


Was bedeutet die Meditation für dich? Woraus besteht die Essenz dieser Praxis?

Die Meditation wird in unserer Gesellschaft als eine Entspannungs- und Beruhigungstechnik angesehen. Der Kern dieser Praktik liegt für mich allerdings in einem Prozess der Selbsterkennung. Mit Hilfe der Meditation setzt man sich intensiv mit seinen Gefühlen und Gedanken auseinander. Man lernt zu verstehen, welche Gedankeninhalte von unserem Verstand produziert werden, welche Gefühle uns beschäftigen und was für einen Einfluss diese Bewusstseinserscheinungen auf unser Leben haben. Auf diesem Weg wird einem bewusst, dass viele Denk- und Gefühlsmuster von gesellschaftlichen oder familiären Einflüssen geprägt sind und dass man ein konditioniertes Wesen ist. Diese Einsicht ermöglicht einem, sich von vorgefertigten Haltungen und Ansichten zu befreien und sich von Moment zu Moment neu zu entdecken. Es ist ein Schritt von der Vergangenheit in die Gegenwart, weg von der Beurteilung der Geschehnisse nach alten Maßstäben, hin zu einer offenen Haltung dem Hier und Jetzt gegenüber.


Worin liegt der Vorteil, wenn man sich von seiner Konditionierung befreit?

Die Befreiung von vorgefertigten Ansichten bietet die Möglichkeit, zu erkennen, welche Werte und Bedürfnisse dem eigenen Wesen zugrunde liegen und welche von äusseren Umständen antrainiert sind. Man beginnt zu hinterfragen, ob man eine Karriere, eine Beziehung oder ein Interesse verfolgt, weil sie beglückend und sinnstiftend ist, oder weil man damit gesellschaftlichen oder zwischenmenschlichen Erwartungen entsprechen möchte. Dieser Entdeckungsprozess ist unglaublich befreiend. Kennt man sich selbst, kann man seine Zeit und Energie für Projekte nutzen, welche einen intrinsisch motivieren und kann sich von Themen verabschieden, welche extrinsisch motiviert sind und nur als Mittel zum Zweck dienen.

Der menschliche Verstand produziert unablässig Gedanken. Wie soll man mit ihnen umgehen?

Es ist wichtig zu verstehen, dass man nicht alles glauben muss, was uns unsere Gedanken als Stimme im Kopf vorspielen. Der Verstand produziert unablässig Inhalte, welche das Leben nach vergangenen Erfahrungen kommentieren und bewerten. Dies erschwert es, dem jetzigen Moment mit einer Offenheit und einer Neugierde zu begegnen, die uns den Augenblick achtsam verbringen und das Leben schätzen lässt. Zugleich führt die Identifikation mit dem eigenen Verstand auch zu Schwierigkeiten. Versteift man sich auf seine Meinungen und bewertet abweichende Ansichten als Unwahrheiten oder Irrschlüsse, so wird man unweigerlich mit anderen Menschen in Konflikt treten. Statt Andersartigkeit als bereichernde und interessante Komponente des Lebens zu betrachten, wird sie als Gefahr und Bedrohung wahrgenommen. In diesem Sinne ist Meditation für mich auch ein Friedensprojekt. Ein Weg zu einem vorurteilsfreieren, offeneren und gelasseneren Leben.


Was für einen Einfluss hat die Meditation auf den Umgang mit den eigenen Gefühlen?

Mehrere Studien deuten darauf hin, darunter auch eine vom psychologischen Institut der UZH, dass Meditierende besser mit negativen Gefühlen umgehen und sich schneller von ihnen lösen können. Dies führe ich darauf zurück, dass man durch die Meditation die Fähigkeit erlernt, negative Gefühle und Gedanken wahrzunehmen und bewusst wieder ziehen zu lassen. Anstatt sich mit ihnen zu identifizieren und sie als unerwünschte und lästige Persönlichkeitsanteile abzustempeln, werden sie als Erscheinung des Bewusstseins betrachtet, welche auftauchen, aber auch von selbst wieder verschwinden.

Inwieweit beinhaltet die Meditation eine philosophische Botschaft oder eine Gesellschaftskritik?

Die Meditation negiert den berühmten Satz des Philosophen Descartes „Ich denke, also bin ich“ und führt zur entgegengesetzten Einsicht „Ich denke nicht und bin trotzdem“. Und sie lässt einen erkennen, dass gerade die Zustände der Achtsamkeit und die Fenster der Gedankenlosigkeit unglaublich friedliche und bereichernde Momente des Lebens sind. Sie beinhaltet auch die Erkenntnis, dass man als Mensch mehr als sein Intellekt und seine Meinungen ist, und dass Gedanken und das Denken ein destruktives Ausmass annehmen können. Zugleich kann sie als Kritik am Kapitalismus verstanden werden, dass man sich nicht allein an der Produktivität oder dem materiellen Besitzt bemessen lassen soll. Die Meditation ist ein Aufruf zur Entschleunigung und eine Ermunterung zum achtsamen Sein. Statt immer schneller und besser soll langsamer und bewusster gelebt werden. Sie bietet damit eine Antwort auf den chronischen Stress und ungeheuerlichen Druck, welcher heutzutage in vielen Lebensbereichen wie dem Arbeitsplatz existiert.


Inwiefern hat Meditation eine medizinische Funktion und eine heilende Wirkung?

In meinem Meditationsstudio suchen viele Menschen einen Ausgleich zu ihrem stressigen und vollgepackten Alltag. Die Meditation ermöglicht es ihnen, für eine Zeitspanne all ihre Projekte und Bestrebungen beiseitezulegen und einfach mal nur zu sein. Zugleich gibt ihnen die Meditation die Zeit und den Raum, um in Berührung mit ihrer Innenwelt zu kommen und zu spüren, was für Themen oder Bedürfnisse sie hinter dem Schleier äusserlicher Ablenkungen beschäftigen. Es kommt daher nicht selten vor, dass Menschen im Laufe dieser Kurse Aspekte ihrer Lebensführung hinterfragen und innerliche Einsichten gewinnen, um Änderungen voranzutreiben und neue Wege einzuschlagen. In diesem Sinne hat die Meditation nicht nur die wissenschaftlich breit untersuchte und abgestützte Wirkung der Stressreduktion, sondern auch die Annäherung an eine Lebensweise, welche mit den eigenen inneren Bedürfnissen und Werten im Einklang steht.

Führen diese innerlichen Einsichten und äusserlichen Veränderungen nicht auch zu Unsicherheit?

Sicherlich. Aber Unsicherheit ist ein unvermeidlicher und integraler Bestandteil des Lebens. Alles ist vergänglich. Alles kann und wird sich ändern. Ich habe eine Bekannte, die eben die Diagnose Krebs im Endstadium erhalten hat, mitten im Leben, mit zwei kleinen Kindern. Das Leben kann furchtbar sein. Es ist jedoch sinnlos, sich vor der Vergänglichkeit zu verschliessen und sich vorzuspielen, dass unsere Existenz sicher und vorhersehbar ist. Die Meditation lehrt uns vielmehr, mit diesen Unsicherheiten umzugehen, sie als Teil des Lebens zu akzeptieren und in ihnen nicht Gefahren, sondern Möglichkeiten zu sehen. Öffnet man sich dem Wandel des Lebens und hält man sich nicht krampfhaft an alten Umständen und bewährten Ansichten fest, so verliert man die Angst vor Änderungen und Neuem. Man fliesst mit dem Strom des Lebens, anstatt gegen ihn anzukämpfen.


Wie lassen sich schwierige Situationen aus einer meditativen Sicht überstehen? Inwiefern hilft sie, Krisen zu bewältigen?

Wenn ich von meinem gegenwärtigen Standpunkt auf mein Leben zurückschaue, dann erkenne ich, dass viele schwere Phasen zwar schmerzhaft und unangenehm, aber unglaublich wichtig für meine persönliche Entwicklung waren. So habe ich zum Beispiel vor vielen Jahren in einem Beruf, der mich nicht erfüllt hat, ein Burnout erlitten. Erst dieser Zustand der Erschöpfung und der Ohnmacht hat mich zur Entscheidung bewegt, ihn aufzugeben und einer Tätigkeit nachzugehen, welche mich erfüllt und beglückt. Dies war eine ungemein wichtige Lehre. Negative Emotionen und seelisches Leid können manchmal als Botschaft verstanden werden, etwas im Leben oder an sich selbst ändern zu müssen. Lebt man bewusst und achtsam, kann man diese Regungen frühzeitig erkennen und seinem Weg die nötige Neuausrichtung geben.

Welche Rolle spielt die Kultivierung von Verbundenheit und Empathie?

Indem man sich selbst kennen und fühlen lernt, erweitert man seine Fähigkeit, sich auch in das Dasein anderer Menschen, Tiere und Pflanzen einzufühlen und sich für ihr Wohlergehen stark zu machen. Deshalb ist Meditation auch so wertvoll und förderlich in zwischenmenschlichen Beziehungen. Man lernt nicht nur, seine Gefühle und Bedürfnisse wahrzunehmen und sie zum Ausdruck zu bringen, sondern kultiviert auch Verständnis und Empathie für die Anliegen seines Gegenübers. Das Verständnis vertieft sich von einer intellektuellen und kognitiven auf eine emotionale und geistige Ebene. Man gelangt in Kontakt mit dem Kern des anderen Wesens. Dieser Prozess stellt sich nicht nur in Beziehungen zu Menschen, sondern auch zu Tieren und zur Natur ein. Sich selbst als Teil eines grossen Ganzen zu sehen, als Resonanzkörper mit mannigfaltigen Wahrnehmungen, verbunden mit Menschen und Natur, ist eine unglaublich bereichernde Erfahrung. Sie ermöglicht die Führung eines Lebens, das in Einklang mit allen anderen Wesen und der Umwelt steht. 


Für wen eignet sich die Meditation?

Sie eignet sich für alle (lacht). Ich glaube, jeder Mensch würde von einer achtsamen und verbundenen Lebensführung profitieren. Zum Glück gibt es so viele verschiedene Meditationsarten und -formen, wie zum Beispiel auch Tanz- oder Gehmeditation, dass es für jede und jeden etwas dabei hat.

Interviewer: Michael Schwarz


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